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May 13, 2023

Der globale Wettbewerb um Rohstoffe: Europa droht, den Lithium-Wettlauf zu verlieren

Zerkleinerte Seltenerdsteine: Europa bleibt extrem abhängig von China.

Europas Zukunft riecht nach verbranntem Metall. Funken fliegen, Arbeiter mit Schutzbrillen schneiden mit unerschütterlicher Konzentration durch Metallrohre. Hier im Industriepark Bitterfeld-Wolfen nördlich von Leipzig, wo AGFA einst den ersten funktionierenden Farbfilm der Welt entwickelte, entsteht ein neues deutsches Industriewunder: Europas erste Lithiumraffinerie.

Der Mann, der das Projekt verwirklichen will, heißt Dr. Heinz C. Schimmelbusch, ein 78-Jähriger, in der Welt der Rohstoffe liebevoll „Schibu“ genannt. Schimmelbusch ist alles andere als ein Unbekannter: Er ist der ehemalige Direktor des legendären deutschen Industriekonzerns Metallgesellschaft, einst einer der größten des Landes. Der gebürtige Wiener hat strahlend blaue Augen, sorgfältig gescheiteltes Haar und ein überlebensgroßes Ego, das seinem Ruf gerecht wird. Der Manager, dessen Karriere vor 30 Jahren eigentlich zu Ende schien, will sich mit diesem jüngsten Projekt ein letztes Denkmal setzen. Und schon jetzt gilt seine Raffinerie als Schlüsselelement im wirtschaftlichen Puzzle Deutschlands für die Zukunft.

Der Artikel, den Sie gerade lesen, erschien ursprünglich auf Deutsch in der SPIEGEL-Ausgabe 22/2023 (27.05.2023).

Schibus Unternehmen namens Advanced Metallurgical Group, kurz AMG, hofft, noch in diesem Jahr mit der Produktion von Lithiumhydroxid beginnen zu können. Es ist der Stoff, aus dem ökologische Träume sind, ein Metallsalz, das für Autobatterien, Windräder und Solaranlagen notwendig ist, der Schlüssel zur Elektromobilität. Die Vereinten Nationen nennen es „eine Säule für eine Wirtschaft ohne fossile Brennstoffe“. Etwa 10 Kilogramm davon stecken in der Batterie eines Elektro-SUV, etwa des iX von BMW.

Heinz C. Schimmelbusch: „Wir müssen jetzt handeln. Sonst läuft uns die Zeit davon.“

Bald will Schimmelbusch in Bitterfeld 20.000 Tonnen Lithiumhydroxid pro Jahr raffinieren, genug für eine halbe Million Elektroautos. Der Plan sieht vor, die Gesamtmenge innerhalb weniger Jahre auf 100.000 Tonnen pro Jahr zu steigern. Der benötigte Rohstoff soll zunächst aus Schimmelbuschs eigener Mine in Brasilien stammen, könnte aber eines Tages sogar aus Minen in Deutschland selbst bezogen werden. Dafür investiert die Exekutive derzeit Hunderte Millionen Euro. „Wir müssen jetzt handeln. Sonst läuft uns die Zeit davon“, sagt er.

Die zuverlässige Versorgung mit den für die Wirtschaft der Zukunft notwendigen Rohstoffen ist derzeit eine der wichtigsten Herausforderungen der Weltwirtschaft. Ob auf der Branchenleitmesse Hannover Messe, im Europaparlament, in der Unternehmenszentrale oder in der Lobbydiskussion in Berlin: Jeder sieht die zunehmende Ausbeutung von Metallen, Erzen und Mineralien als unumgänglich für die Rettung des Planeten – für saubere Energie und den Transport Revolution. Millionen Arbeitsplätze, der Kampf gegen den Klimawandel, die zukünftige geopolitische Unabhängigkeit Deutschlands: All das hängt von der Verfügbarkeit von Lithium, Kobalt, Nickel und Graphit ab – und von seltenen Erden wie Neodym und Praseodym.

AMG-Werk in Bitterfeld im Bau, Teil der deutschen Aufholjagd.

„Der Wettlauf um die Rohstoffe ist auch ein Wettlauf um unseren künftigen Wohlstand“, sagt Peter Buchholz, Chef der Deutschen Rohstoffagentur (DERA), einer staatlichen Informations- und Beratungsplattform.

Wäre der globale Wettbewerb um Rohstoffe ein Pferderennen, stünden die Chancen derzeit zugunsten Chinas. Kein Land verfügt über größere Mineralvorkommen und kein Land war bei der Ausbeutung dieser Vorkommen aktiver, erfolgreicher und rücksichtsloser. Das Nachrichten- und Lagezentrum der Europäischen Union (INTCEN) warnte kürzlich, dass Peking versuchen könnte, seine Marktposition bei Batterien und Solarzellen auszunutzen. Das Europäische Kompetenzzentrum für die Bekämpfung hybrider Bedrohungen (Hybrid CoE) hat festgestellt, dass China zunehmend auf „wirtschaftlichen Zwang“ als Instrument geopolitischer Macht zurückgreift.

Als wäre eine Erinnerung nötig, hat Peking kürzlich den amerikanischen Halbleiterhersteller Micron ins Visier genommen und vor der Verwendung von Chips des Unternehmens gewarnt. Offiziell nannten die Chinesen Sicherheitsbedenken, doch Experten gehen davon aus, dass es sich um eine Reaktion auf US-Sanktionen handelte.

Buchholz bezeichnet die aktuelle Situation als „systemischen Wettbewerb“ und sagt, es sei längst an der Zeit, dass deutsche Unternehmen endlich erhebliche Summen in die Sicherung der künftigen Rohstoffversorgung investieren. Anstatt einfach das, was sie brauchen, auf den Weltmärkten zu kaufen, müssen sie laut Buchholz in die Ausbeutung und Veredelung investieren, einschließlich des Kaufs von Eigentumsanteilen an Minen. „Die besten Projekte werden derzeit aufgeteilt“, sagt Buchholz, und Konkurrenten aus China seien bereits in Position. Wenn die Deutschen sich nicht beeilen, sagt der DERA-Analyst, werden die besten Einlagen alle weg sein.

Ein Arbeiter in einer Rohstofffabrik in Antofagasta, Chile. Die Rohstoffindustrie ist alles andere als sauber.

Marcos Zegers / The New York Times / Redux / laif

Dass Schimmelbusch, kurz vor seinem 80. Geburtstag, in die Bresche springen musste, sagt viel über das Versagen der deutschen Industrie aus. Viele Jahre lang zeigten leitende deutsche Führungskräfte wenig Interesse an der Frage kritischer natürlicher Ressourcen, während wichtige Konzerne wie Siemens, BMW, Daimler, Thyssen und BASF sich weitgehend nicht darum kümmerten. Die Welt, sagt ein Manager der Chemieindustrie, „war frei, die Märkte waren offen und die Preise niedrig.“ Warum sollte man sich die Mühe machen, wertvolles Kapital in unternehmenseigene Rohstofflager zu investieren? Warum das Risiko eingehen, Ressourcen selbst auszubeuten? Warum die direkte Verantwortung für die Umweltzerstörung und die Wut der Einheimischen übernehmen? Warum sollte man sich überhaupt diesem Stress unterwerfen, wenn das Modell der Just-in-Time-Einkäufe, meist aus China, einwandfrei funktionierte? „Das war ein enormer Vorteil für die Anwendung“, sagt der Geschäftsführer der Chemieindustrie. „Wir mussten uns nicht mit der Umweltverschmutzung auseinandersetzen und konnten Qualitätsprodukte zu vernünftigen Preisen erhalten.“

Periodische Preisschwankungen änderten daran wenig – zumal es den Deutschen abgesehen von einigen Engpässen, die vermutlich von Peking herbeigeführt wurden, recht gut ging.

Aber die durch die Pandemie verursachten Unterbrechungen der Lieferkette, die russische Invasion in der Ukraine und Chinas aggressivere Haltung gegenüber Taiwan haben zusammengenommen Zweifel an der uralten Annahme aufkommen lassen, dass Rohstoffe immer von irgendwoher zugänglich sein werden. China ist als Lieferant viel zu unersetzlich, viel zu mächtig geworden.

Die Europäische Kommission räumt nun ein, dass Europa „stark abhängig“ von Rohstoffen aus China sei, was zu einer „Anfälligkeit“ der EU-Wirtschaft führe. Je nach Material werden maximal 7 Prozent des europäischen Bedarfs durch Produktionsstätten in Europa gedeckt. Mit anderen Worten: Im besten Fall muss der Bedarf an den lebenswichtigen Metallen zu 93 Prozent durch Importe gedeckt werden – im schlechtesten Fall zu 100 Prozent.

Die Sorgen sind so groß geworden, dass die Rohstoffversorgung ein Hauptthema des jüngsten G7-Gipfels in Japan war. Obwohl sich die Staats- und Regierungschefs nicht auf die Gründung eines „Critical Raw Materials Club“ einigen konnten, wie die Europäische Kommission kürzlich vorgeschlagen hatte, wurde ein Fünf-Punkte-Plan zur Identifizierung und Erschließung von Quellen für kritische Metalle und Mineralien ausgearbeitet .

„Wir wollen die Situation ändern“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz kürzlich bei der Eröffnung der Hannover Messe. Aber wie?

Unser Ziel ist Bayan Obo, ein einst heiliger Ort, dessen Name „reicher Berg“ bedeutet. Mit der Spiritualität unberührter Natur hat die Gegend heutzutage allerdings nur noch wenig zu tun. Vielmehr befindet sich hier die größte Seltenerdmine der Welt. Hier, am äußersten Rand Chinas, kurz vor der mongolischen Grenze, werden seit 1958 Mineralien abgebaut, und der Standort beherbergt mindestens ein Drittel der weltweiten Reserven. Es ist außerdem eine der wenigen Minen auf der Welt, in der alle 17 begehrten Metalle im Gestein unter der Erde zu finden sind. Zwischen 70 und 80 Prozent der in China produzierten Menge stammen von hier – das entspricht mehr als der Hälfte der Weltproduktion.

Die Fahrt zur Mine führt über gut ausgebaute Straßen durch Hügel und vorbei an Feldern, auf denen Schafe und Rinder grasen. Doch je näher man dem Bergwerk kommt, desto karger wird die Landschaft. Bergbauunternehmen haben die Region vollständig abgeholzt und alle Bäume gefällt. Kräne und Erdbewegungsmaschinen sind überall, ebenso wie die Autos, die der Staatssicherheit gehören. Zuerst drei, dann vier und schließlich fünf dunkle VW-Limousinen mit getönten Scheiben folgen unserem Taxi.

Die Straße ist genau 10 Kilometer von der Mine entfernt gesperrt, ein Polizeiwagen parkt quer über den Fahrspuren. Ein uniformierter Beamter bläst kräftig in seine Trillerpfeife und schreit dann so laut, dass man es durch die geschlossenen Fenster hören kann: „Drehen Sie sich um!“

Es gibt auch einen zweiten Zugang zur Mine, der einen mehrstündigen Umweg durch die karge Landschaft erfordert. Kurz vor Sonnenuntergang kommt die zweite Straßensperre in Sicht. Auch hier ist ein offizielles Staatssicherheitsfahrzeug anwesend. Und wieder werden alle Autos weggeschickt.

Deng Xiaoping, chinesischer Führer, 1992

Es gibt viele Gründe, warum China seinen bekanntesten Export zum Staatsgeheimnis macht. Das Rohstoffgeschäft ist ziemlich schmutzig. Mit Dynamit und schweren Maschinen werden Elemente aus der Erde oder dem Gestein herausgelöst, die sich dort seit Millionen von Jahren befinden. Es muss in Stücke gesprengt, an die Oberfläche gezogen und gewaschen werden, ein Prozess, der große Mengen an Energie und Wasser erfordert – und manchmal auch Radioaktivität freisetzt.

In westlichen Ländern gelten für solche Betriebe strenge Umweltvorschriften, die sie manchmal unrentabel machen. In China hingegen ist die Marktführerschaft das Ziel und die Umwelt spielt eine untergeordnete Rolle, wenn sie überhaupt eine Rolle spielt.

In Baotou, 150 Kilometer südlich der Mine gelegen, wird das aus dem Boden geförderte Material verarbeitet und der von der Raffinerie produzierte Abfall in den angrenzenden See gekippt. Beamte haben rund um die Jauchegrube eine zwei Meter hohe und mehrere Kilometer lange Betonmauer errichtet, und niemand darf sich dem Wasser nähern. Ein Eintauchen wäre wahrscheinlich tödlich.

Baotou ist im Wesentlichen die Welthauptstadt der Rohstoffe, und der See hat sich in einen Abraum für 40, vielleicht sogar 50 Industriebetriebe verwandelt, die sich in der Region niedergelassen haben, um die Metalle zu verarbeiten. Sie tragen Namen wie China North Rare Earth, Baotou Jinmeng Rare Earth und Baotou Dapeng Metal. Hunderte von Fabrikschornsteinen ragen direkt in den Himmel, unter denen extrem giftige Chemikalien eingesetzt werden, um die 17 begehrten Seltenen Erden voneinander zu trennen. Vom See aus gelangt die giftige Suppe ins Grundwasser und vermutlich auch in den nahegelegenen Gelben Fluss, eine der wichtigsten Wasserstraßen Chinas, in deren Becken mehr als 100 Millionen Menschen leben.

In den Städten am Seeufer ist die Krebsrate hoch. Fast jede Familie hier, sagen Bewohner, hat mindestens ein Mitglied durch Krebs verloren. Das Leitungswasser, das in einem Restaurant am See aus dem Wasserhahn kommt, schimmert und weist mit bloßem Auge sichtbare Metallrückstände auf. Einheimische sagen, dass sie früher das Wasser abgekocht und dann getrunken haben, und einige ältere Bewohner tun dies immer noch, obwohl jüngere Menschen, die in der Region leben, verstanden haben, dass dadurch die Menge an Metallrückständen im Wasser nicht verringert wird. Fabriken haben außerdem fluoridhaltiges Wasser in den See gepumpt, was Knochen brüchig machen und zu abnormalem Zahnwachstum führen kann.

Es war Deng Xiaoping, der China von 1978 bis 1989 regierte und China auf den Weg brachte, zum Weltmarktführer bei Rohstoffen zu werden. „Der Nahe Osten hat Öl, China hat seltene Erden“, sagte er 1992. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass das OPEC-Kartell zwar gelegentlich die Produktion anpasst, um die Preise hoch zu halten, Chinas Hebel bei seltenen Erden jedoch unvergleichlich größer ist und es dem Land ermöglicht üben weltweit politischen Einfluss aus.

Als Peking vor 13 Jahren plötzlich die Exporte seltener Erden um 72 Prozent reduzierte, löste das ein Erdbeben auf den Rohstoffmärkten aus. China hatte jahrelang aggressives Preisdumping betrieben, um seine Konkurrenten in den Ruin zu treiben, und zwang Minen in den USA, Australien und Afrika zur Schließung, weil sie mit den niedrigen Preisen der Chinesen nicht mithalten konnten. Doch in der zweiten Jahreshälfte 2010 ordnete die Führung des Landes an, statt der normalen Exportmenge von 28.000 Tonnen nur die Hälfte ins Ausland zu schicken. Offiziell aus Umweltgründen.

Die damalige Bundesregierung unter der Führung der Christdemokraten Angela Merkel in Koalition mit den wirtschaftsfreundlichen Freien Demokraten legte daraufhin ihre erste Rohstoffstrategie vor – die jedoch nie wirklich umgesetzt wurde, auch weil China schnell zu seiner liberaleren Exportpolitik zurückkehrte . Aber die Lehre aus dieser Episode hätte sein sollen: China wird nicht davor zurückschrecken, seine Rohstoffe zur Durchsetzung seiner Interessen zu nutzen.

Und das Ziel des Landes, den Weltmarkt zu dominieren, reicht längst weit über die Landesgrenzen hinaus.

Einer der wenigen, die versuchen, der Marktbeherrschung Pekings Paroli zu bieten, ist Schimmelbusch. Mitten in den grünen Hügeln des brasilianischen Bundesstaates Minas Gerais, zwischen Kaffeeplantagen und Viehweiden, befindet sich ein 180 Meter tiefer Krater. Bulldozer und Bagger graben die Erde um, während Gabelstapler riesige Lastwagen mit Plastiktüten beladen. Sie enthalten Spodumen, ein zu einem weißen Pulver zermahlenes Mineral – und eines der wichtigsten Rohstoffe, aus denen Lithium gewonnen werden kann.

Schimmelbuschs Entscheidung, in das Lithiumgeschäft einzusteigen, das mittlerweile den Großteil seines Vorsteuergewinns von 300 Millionen Euro ausmacht, war eher ein Zufall. Als er vor einigen Jahren mit einem Hubschrauber über seiner Tantalmine in Brasilien flog, schaute er nach unten, „und alles war weiß“, erinnert er sich. Die Minenarbeiter hatten das weiße Spodumenerz auf Müllhaufen geworfen, Rückstände, für die sie keine Verwendung hatten. Irgendwann, sagt er, „habe ich dort oben auf den Müllhalden beschlossen, mich mit Lithium zu beschäftigen.“

Um Gewinn zu machen, brauchte er jedoch Hilfe aus China – und die kam in Form von „Doktor Li“, wie Schimmelbusch ihn nennt. Li Nanping ist Chef von General Lithium, einem der Marktriesen aus China. Schimmelbusch sagt, das Unternehmen habe die weitgehend unverarbeiteten Lithiumerzblöcke sofort gekauft – „und damit das damit verbundene Risiko übernommen“.

Seit 2018 produziert die AMG-Mine 90.000 Tonnen Spodumen pro Jahr, die Gesamtproduktion soll ab diesem Sommer auf 130.000 Tonnen gesteigert werden. Die Lastwagen rumpeln etwa 20 Kilometer über staubige, unbefestigte Straßen und prallen durch Schlaglöcher auf eine Autobahn. Von dort aus reisen sie etwas mehr als 500 Kilometer zu einem Industriehafen im Bundesstaat Rio de Janeiro, wo die Säcke auf Schiffe verladen und nach Shanghai verschifft werden. In China angekommen wird das Spodumen zu einer Lithiumverbindung verarbeitet.

Das ist die günstigste Route. Aber Kunden von Schimmelbusch wie Mercedes sind zunehmend bereit, etwas mehr zu zahlen, wenn das für mehr Versorgungssicherheit sorgt. Sobald Schimmelbuschs Anlage in Bitterfeld fertiggestellt ist, wird das Erz aus Brasilien vollständig zur Verarbeitung nach Deutschland geschickt, China bleibt außen vor.

US-Präsident Joe Biden ist vorerst noch gut gelaunt. „Ich bin beeindruckt. Vielen Dank, dass Sie uns nicht abgesagt haben“, sagt der Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom, in die Kamera. "Willst du mich verarschen?" Biden schießt zurück. „Außer Russland und der Ukraine ist bei uns nicht viel los.“ Es ist der 22. Februar 2022, zwei Tage vor Moskaus Invasion in der Ukraine, und der Präsident lädt Politiker und Industrievertreter zu einem virtuellen runden Tisch ein, um über kritische Rohstoffe zu diskutieren.

Das Thema steht ganz oben auf der Prioritätenliste Washingtons. Um eine wirklich starke Wirtschaft aufzubauen, sagt Biden, „brauchen wir eine Zukunft, die in Amerika gemacht wird.“ Er sagt, er wünsche sich, dass für zahlreiche Produkte ganze Lieferketten ins Land zurückgebracht würden, inklusive der darin verarbeiteten Rohstoffe. Mobiltelefone, Küchengeräte, Elektrofahrzeuge: „Ohne diese Mineralien können sie nicht funktionieren.“

Um dieses Ziel zu erreichen, ist es laut Biden notwendig, Steuergelder in die heimische Industrie zu investieren, und während des virtuellen Treffens kündigt er die erste derartige Ausgabe an: Das Unternehmen MP Materials soll 35 Millionen US-Dollar erhalten, um die erste und einzige Raffinerie für Schwerselten zu bauen Erdelemente in den USA „Das ist nicht anti-china … es ist pro-amerikanisch.“

Sloustcher, Geschäftsführer von MP Materials: Wir nehmen es zurück.

An der Grenze zwischen Kalifornien und Nevada befindet sich eine karge Landschaft aus rotem Fels, die das Mojave National Preserve bildet. Tief im Park befindet sich die Mountain Pass Mine. Abgesehen von ein paar Wüstenschildkröten und streunenden Campern stört der Lärm der übergroßen Maschinen der Mine jedoch niemanden besonders. Ein- bis zweimal pro Woche ist am Mountain Pass der „Explosionstag“, an dem Sprengstoffe im roten Gestein im Inneren des Kraters explodieren. Die durch die Explosionen entstandenen Brocken werden dann von riesigen Muldenkippern an die Oberfläche gebracht und in den Brecher entleert: Große Felsbrocken werden in kleinere Steine ​​zerkleinert, die Steine ​​werden zu Kies verarbeitet und der Kies schließlich zu Pulver zerkleinert. Das Bergwerk ist sieben Tage die Woche rund um die Uhr in Betrieb.

Die Mountain Pass-Mine produziert seit mehr als 70 Jahren seltene Erden, aber sie war noch nie so aktiv wie jetzt, sagt Matt Sloustcher, Cheflobbyist von MP Minerals. Bis in die 1990er Jahre war die Mine der weltweit größte Produzent seltener Erden, sagt Sloustcher. Doch dann übernahm China die globale Industrie. Jetzt, sagt Sloustcher, sei es an der Zeit, mit der Rücknahme zu beginnen.

Noch im Jahr 2015 kamen gerade einmal 6.000 Tonnen Material pro Jahr aus Mountain Pass. Die Minenbetreiber förderten nur die Mineralien, die schnell und einfach verkauft werden konnten, und die Steine ​​wurden vom Hafen von Los Angeles zur Verarbeitung nach China geschickt – und wurden nie wieder gesehen.

Heute hat MP Minerals die Jahresproduktion fast verachtfacht, die Belegschaft von acht auf 550 aufgestockt und eine Milliarde Dollar investiert, um die gesamte Wertschöpfungskette zurück in die USA zu bringen. Vom Bergbau über die Raffinierung seltener Erden bis hin zur Magnetproduktion ist alles in Ordnung finden auf dem nordamerikanischen Kontinent statt.

Die MP Materials-Mine am Mountain Pass.

Direkt neben der Mine wurde eine Veredelungsanlage errichtet, in der hochreine leichte Seltenerdelemente hergestellt werden. Von hier aus sollen die grün und violett schimmernden Flüssigkeiten nach Texas geschickt werden, wo sie in die Magnete umgewandelt werden, die jeder Elektromotor benötigt. Mountain Pass geht davon aus, dass das Unternehmen bis Ende des Jahres die erforderliche Zertifizierung erhalten wird, um auch schwere Seltene Erden am Standort verarbeiten zu können – und ist damit die einzige derartige Anlage in der gesamten westlichen Hemisphäre.

Besonders stolz ist MP Minerals auf seine „umweltbewussten“ Prozesse. Das bei der Verarbeitung verwendete Wasser wird laut Sloustcher recycelt und wiederverwendet. Es gibt keine verschmutzten Seen wie in Baotou. Die Mine, sagt Ryan Corbett, Finanzvorstand von MP Minerals, sei ein Beweis dafür, dass die wertvollen Rohstoffe auch im Westen gefördert werden können. Das Unternehmen sei in der Lage, in einem wettbewerbsintensiven Markt Geld zu verdienen und dabei westliche Werte und Gesetze auf ökologische und nachhaltige Weise einzuhalten.

Doch die Amerikaner zahlen einen extrem hohen Preis für ihre Unabhängigkeit. Bidens Inflation Reduction Act (IRA) kostet 500 Milliarden US-Dollar. Das Programm soll die USA auf den Weg zu einer „grünen Wirtschaft“ bringen und China wo immer möglich verdrängen. Um von Steuererleichterungen zu profitieren, sind Unternehmen verpflichtet, ihre Rohstoffe nach Möglichkeit aus inländischen Lagerstätten oder verbündeten Ländern zu beziehen.

Ein Beispiel ist die Steuergutschrift in Höhe von 7.500 US-Dollar für Elektrofahrzeuge, die Mitte April in Kraft trat. Danach müssen Automobilhersteller 40 Prozent der kritischen Mineralien, die sie für ihre Batterien benötigen, entweder aus den USA oder aus Ländern beziehen, die durch ein Freihandelsabkommen mit den USA verbunden sind. Bis 2027 soll dieser Wert auf 80 Prozent steigen. Darüber hinaus muss die Hälfte der Batteriekomponenten in Nordamerika montiert werden, ein Anteil, der bis 2029 auf 100 Prozent steigen wird.

Jonathan Evans, CEO von Lithium Americas

Corporate America reagiert. Von General Electric bis General Motors investieren große und kleine Industrieunternehmen in den USA Milliarden in Minen, Raffinerien und Batteriefabriken. Auf dem gesamten Kontinent werden neue Projekte für Lithium, Kupfer, Nickel und seltene Erden entwickelt. Die Rohstoffindustrie erlebt regelmäßig einen Goldrausch. Seit Inkrafttreten der IRA wurden mehr als 60 Milliarden US-Dollar in mehr als 130 Projekte investiert. Der Automobilhersteller GM hat beispielsweise den Großteil der Produktion von MP Minerals für sich reserviert und zusätzlich 650 Millionen US-Dollar durch eine Investition in Lithium Americas in der Nähe von Winnemucca, Nevada, in die Produktion gesteckt. Für die nächsten zehn Jahre wird GM die gesamte Produktion des relativ jungen Unternehmens erwerben, mit der Option auf eine Verlängerung des Vertrags um weitere fünf Jahre.

„Es läuft derzeit ein unglaublicher Wettlauf um die besten Lagerstätten auf der ganzen Welt“, sagt Jonathan Evans, CEO von Lithium Americas, der früher für Bayer in Düsseldorf arbeitete. Jeder Autohersteller benötige derzeit Lithium, sagt er, da sie alle in die Produktion von Elektrofahrzeugen einsteigen. Der Markt sei unglaublich „eng“ und die Preise steigen, sagt er.

Evans glaubt, dass die Trennung von China fünf bis zehn „holprige Jahre“ für den Westen bedeuten wird. Beim Interstate-Highway-System in den USA sei es jedoch nicht anders, betont er: Es habe 35 Jahre gedauert, bis der Plan von Präsident Dwight D. Eisenhower Wirklichkeit wurde. Er sagt, Europa müsse schnell mit der wichtigen Sache beginnen, wenn es nicht hoffnungslos ins Hintertreffen geraten wolle. Die gesamte Technologie und das Bergbau-Know-how stammten einst vom Alten Kontinent, sagt er. China kam dann groß raus. Jetzt, sagt er, sei es an der Zeit, die Dinge wieder umzudrehen.

Deutschlands Antwort auf diesen beeindruckenden Geschäftssinn empfängt ihren Gast in einem etwas heruntergekommenen Büro am Stadtrand von Dresden. Franziska Lederer vom Helmholtz-Institut für Ressourcentechnologie will zur Lösung der deutschen Rohstoffprobleme beitragen – mithilfe von Viren. Zwischen Kolben und Fläschchen, Tiegeln und Pulverdosen erklärt die Wissenschaftlerin ihr Verfahren zur Gewinnung seltener Erden aus alten Kompaktleuchtstofflampen. Und das völlig umweltfreundlich, ohne den Einsatz von Chemikalien.

Dafür nutzt Lederer den Bakteriophagen M13, einen Virus, der ausschließlich Bakterien befällt – und seltsamerweise auch Metalle mag. In Lederers Labor verschlingt das Virus derzeit die Seltenen Erden Lanthan, Cer, Terbium, Europium und Yttrium, die im Leuchtpulver der ausrangierten Glühbirnen enthalten sind.

Die Bakteriophagen können auf mikroskopisch kleine Magnete geheftet werden. Mit ihnen „fischt“ Lederer die Seltenen Erden aus dem Leuchtpulver heraus, ein Verfahren, das „Biofishing“ genannt wird. Diese Methode funktioniert auch für Lithium und Kobalt, die in alten Batterien von Elektroautos enthalten sind. Mit der Methode lässt sich sogar Gallium, das Metall, aus dem Brauchwasser von Solarunternehmen gewinnen.

Mathematisch gesehen ist das Potenzial riesig. Bis 2020 wurden in der Europäischen Union rund 25.000 Tonnen altes Leuchtstoffpulver gesammelt. Da es giftiges Quecksilber enthält, wird es als Sulfid in alten Tunneln unter der Erde gelagert. Es könne „leicht in großen Mengen beschafft und durch Biofischerei ausgebeutet werden“, sagt Lederer. Nach ihren Berechnungen könnten auf diese Weise knapp 4.800 Tonnen Seltene Erden gewonnen werden – theoretisch genug, um Deutschland noch über Jahre hinweg zu versorgen.

Doch das Verfahren ist noch nicht marktreif. Und es ist auch teuer. Etwas mehr als 10 Prozent des deutschen Rohstoffbedarfs können derzeit durch Recycling gedeckt werden. Insgesamt, sagt Christoph Helbig, der an der Universität Bayreuth globale Stoffkreisläufe modelliert, dürfte die Kreislaufwirtschaft ein ähnlicher Kraftakt sein wie die deutsche Energiewende hin zu grünen Energien. „Es wird mindestens 10 bis 20 Jahre dauern“, bis mehr als 50 Prozent des Bedarfs an Lithium und Seltenen Erden durch Recycling gedeckt werden können, sagt er.

Lithiumgewinnung im Chaerhan-Salzsee in der chinesischen Provinz Qinghai

Dennoch ist sich Lederer einer breiten Unterstützerkoalition sicher. An der Kreislaufwirtschaft kommt kein Strategiepapier aus Berlin oder Brüssel und keine Ideensammlung der Industrie zur Bekämpfung der Rohstoffkrise vorbei. Deutschland und Europa, so heißt es in den Strategiepapieren, hätten gute Chancen, in der Recyclingtechnologie weltweit führend zu werden und sich durch die Wiederaufbereitung von Elektroschrott zumindest langfristig ein gewisses Maß an Autarkie zu sichern.

Dass Deutschland so viel Wert auf Recycling legt, hat mit einem Narrativ zu tun, das in den Schulen beginnt. Deutschland, so wird hierzulande gelehrt, sei arm an Rohstoffen, aber reich an klugen Köpfen. Die herausragenden Ingenieure, Avantgarde-Mediziner und Weltklasse-Chemiker sind es, die dem Land seine Wirtschaftskraft und Umweltkraft verliehen haben – und nicht seit einigen Jahren die Bodenschätze des Ruhrgebiets, der Lausitz oder der Oberrheinebene .

Tatsächlich ist dies nur teilweise wahr. Auch unter Europas Böden liegen Vorkommen an Lithium, seltenen Erden und Zinn. Schwedens staatliches Bergbauunternehmen LKAB beispielsweise gab Anfang des Jahres bekannt, dass es nördlich des Polarkreises Europas größtes Vorkommen an Seltenen Erden entdeckt habe. In der Oberrheinebene plant ein australisch-deutsches Konsortium, Lithium aus unterirdischen Thermalquellen zu filtern. Und Schimmelbuschs AMG hat sich kürzlich mit 25 Prozent am sogenannten Zinnwald-Projekt an der deutsch-tschechischen Grenze beteiligt. Dort soll auch Lithium ausgebaggert werden. Bisher geht die Europäische Kommission davon aus, dass nur 5 Prozent des Bedarfs an kritischen Rohstoffen aus heimischen Quellen gedeckt werden können. Je höher jedoch der Preis der Rohstoffe wird, desto attraktiver wird deren Exploration und Gewinnung.

Aber selbst dann wird der heimische Abbau auf absehbare Zeit deutlich schwieriger und vor allem teurer bleiben als der Import. Es mangelt an Kapital, derzeit sogar an Know-how und an Unternehmen, die bereit sind, selbst Risiken einzugehen. Seitdem der ehemalige Bergwerksbetreiber Preussag in den Tourismuskonzern TUI umgewandelt wurde und der alte Metallkonzern seine Geschäftstätigkeit einstellte, gibt es in Deutschland keinen echten Rohstoffmulti mehr im Land. Kein großes Unternehmen war bereit, das Risiko einzugehen, weil die Abläufe zu schmutzig, zu teuer und zu unzuverlässig wären.

Denn egal ob in Chile oder Ostdeutschland, das Risiko eines Scheiterns ist im Rohstoffgeschäft immens. Die Erschließung einer neuen Lagerstätte kann bis zu 10 Jahre dauern. Das heißt, bevor eine Tonne Metall oder Mineral in den Fabriken in Stuttgart, Wolfsburg oder München ankommt, muss ein Jahrzehnt an Investitionen getätigt werden. Unterwegs kann alles Mögliche schief gehen: Die Einlagen können kleiner ausfallen als erwartet. Die politischen Rahmenbedingungen können sich ändern, die Weltmarktpreise können fallen und damit auch die Finanzierung.

Und dann gibt es den Widerstand der Bevölkerung. Wenn die Errichtung einer Windkraftanlage oder der Bau einer Stromleitung vielerorts mit jahrzehntelangen Protesten einhergeht, dürfte der groß angelegte Bergbau in Deutschland noch unpopulärer werden. Dasselbe gilt auch anderswo in Europa, wo oft unter Böden, die auch für den Tourismus wertvoll sind, wichtige Rohstoffschätze liegen, die kurzfristig möglicherweise sogar wertvoller erscheinen. Orte wie die Algarve in Portugal oder die Poebene in Italien.

Anstatt für mehr Akzeptanz zu werben, ignorierte die Branche das Problem einfach. Die deutschen Automobilhersteller wollten lange nicht akzeptieren, dass die Ära des Verbrennungsmotors zu Ende geht und im Zeitalter der E-Mobilität plötzlich völlig andere Vorprodukte und Rohstoffe über Erfolg oder Misserfolg entscheiden werden. Erst die Pandemie, die russische Invasion in der Ukraine und die geostrategische Konfrontation mit China haben den Autobosse klar gemacht, dass sie am Markt vernichtet werden, wenn sie nicht die Kontrolle über die neuen Schlüsselrohstoffe erlangen. „Die Energiewende ist inzwischen der Materialwende gewichen“, heißt es in einem Rohstoffbericht aus Brüssel. Laut einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) wird die Welt bald stärker von kritischen Rohstoffen wie Seltenen Erden abhängig sein als heute vom Erdöl.

Und ein Horrorszenario macht bereits die Runde: Deindustrialisierung. Die größte Wertschöpfung werde künftig in rohstoffreichen Regionen stattfinden, warnen einige Führungskräfte der Automobilindustrie. Es brauche schnell Handelsabkommen und Rohstoffpartnerschaften, um den Zugang zu Ressourcen zu sichern, sagte Mercedes-Chef Ola Källenius kürzlich und brachte damit die Dringlichkeit der Situation zum Ausdruck.

Die Branche schreit um Hilfe von der Regierung in Berlin. „Der Markt funktioniert nicht mehr, die Knappheit wird zunehmen“, sagt Matthias Wachter, Rohstoffexperte beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). „Wir brauchen politische Unterstützung.“

In einem Papier wollen BDI-Lobbyisten die Schuld für die deutsche Rohstoffkatastrophe nicht ihren eigenen Mitgliedern, sondern der Politik zuschieben. Andernorts gebe es, so argumentiert der BDI, eine „gezielte staatliche Unterstützung“ für den Abbau und die Verarbeitung von Rohstoffen.

Die Bundesregierung hat kein Interesse daran, die Schuld auf sich zu nehmen. Franziska Brantner, die für Rohstoffe zuständige parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, wundert sich über die Chuzpe der Konzerne. Natürlich sei China der weltweit größte Lieferant von verarbeiteten kritischen Rohstoffen und seltenen Erden, sagt sie. „Das hat aber nichts damit zu tun, dass es diese Stoffe anderswo nicht gibt.“

Brantner wurde von ihrem Chef, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, damit beauftragt, die Abhängigkeit Deutschlands von wichtigen Rohstoffen zu verringern. Ihre vielen Reisen im Rahmen dieser Mission führten sie nach Lateinamerika, in die Vereinigten Staaten, nach Kanada und Afrika. Und vor Ostern war sie in Australien.

Parlamentarische Staatssekretärin Franziska Brantner: „Vielen ging es nur um den günstigsten Preis.“

Brantner, Grünen-Abgeordneter, sagt, China verdanke seinen Aufstieg auch einer Mischung aus Gedankenlosigkeit, Spezialisierung und Arbeitsteilung in deutschen Unternehmen. „Vielen ging es nur darum, den günstigsten Preis zu bekommen“, sagt Brantner. Und China, sagt sie, habe das schon immer geboten, dank niedriger Löhne und staatlicher Subventionen. Wenn die Wirtschaft nun um Hilfe bittet, dürfe es „nicht darum gehen, dass der Staat das ganze Risiko übernimmt, sondern darum, die Unternehmen zu unterstützen.“ Die Industrie, sagt sie, könne nicht nach dem Prinzip verfahren, die Gewinne zu privatisieren und gleichzeitig den Steuerzahler die Risiken tragen zu lassen.

Wie rücksichtslos die Industrie die Kontrolle über die Rohstofffrage aus der Hand gegeben hat, verdeutlicht Brantner gerne am Beispiel der Galliumproduktion in Deutschland. Das Mineral ist für die Halbleiterindustrie unverzichtbar und kann auch bei der Herstellung von Leuchtdioden verwendet werden. Bis 2015 sei die heimische Produktion weitergelaufen, sagt der 43-Jährige. Doch das Werk war der wesentlich günstigeren chinesischen Produktion nicht gewachsen und wurde daher aufgegeben.

Um sicherzustellen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt, legte Brantner Anfang des Jahres ein Papier vor, in dem er Wege zu einer nachhaltigen und widerstandsfähigen Rohstoffversorgung aufzeigte. Sie glaubt auch, dass die Politik einen Teil der Arbeit selbst leisten kann, indem sie beispielsweise Machbarkeitsstudien und geologische Untersuchungen finanziell unterstützt und Prozesse beschleunigt. Im Gespräch ist auch ein Rohstofffonds, mit dem die staatliche KfW-Förderbank die Risiken der Exploration ähnlich wie Hermes-Exportgarantien absichern könnte. Berlin erwägt sogar Differenzverträge, bei denen der Bund einen Teil der höheren Kosten für Rohstoffe übernimmt, die im Inland fair und nachhaltig produziert werden.

Aber es ist in erster Linie die Wirtschaft, die sich verstärken muss. Die Europäische Kommission hat vorgeschlagen, dass Großkonzerne eine Art Prüfung für besonders kritische und strategische Rohstoffe durchführen lassen, um die eigene Verwundbarkeit zu ermitteln. Brantner möchte Unternehmen außerdem dazu ermutigen, mehr kritische Rohstoffe zu bevorraten. Für Unternehmen lohnt sich das bisher aus steuerlichen Gründen nicht, denn es benötigt Platz und bindet zudem Kapital. Letzteres Problem könnte abgemildert werden, wenn Unternehmen erst dann Einfuhrzölle zahlen müssten, wenn die Materialien tatsächlich verarbeitet würden.

Der deutsche Finanzminister Christian Lindner müsste eine solche Steuererleichterung umsetzen, die von den Unternehmen stark gefordert wird. Lindner scheint angesichts der angespannten Haushaltslage Deutschlands skeptisch zu sein, insbesondere aber angesichts der Tatsache, dass die Bevorratung zwar bei kurzfristigen Störungen der Lieferkette helfen kann, etwa wenn ein Schiff im Suezkanal steckenbleibt, aber nicht dazu beiträgt, strategische Abhängigkeiten zu beenden.

Brantner bleibt vorerst nur die Möglichkeit, auf staatliche Rohstoffpartnerschaften zu drängen, wie sie Wirtschaftsminister Habeck kürzlich mit Kolumbien geschlossen hat. Diese Partnerschaftsverträge versprechen den Bergbauunternehmen nicht nur eine faire Bezahlung der Nutzung ihrer Rohstoffe, sondern auch einen nachhaltigen Abbau nach deutschen Umwelt- und Sozialstandards. Aber noch wichtiger: ein Anteil an der Wertschöpfung.

Es ist ein humanerer Gegenentwurf zum neokolonialen Stil Chinas. Und ein Ansatz, der sich tatsächlich durchsetzen könnte. Der chilenische Präsident Gabriel Boric kündigte kürzlich an, dass alle privaten Unternehmen des Landes, die künftig Lithium abbauen wollen, mit dem Staat in Joint Ventures zusammenarbeiten müssen. Chile, sagte Boric, könne es sich einfach nicht leisten, seine Lithiumvorkommen nicht zu nutzen.

In der deutschen Rohstoffstrategie war in der Vergangenheit kaum die Rede davon, dass das Land tatsächlich auf Augenhöhe mit den Förderländern ist. Doch das soll sich nun ändern. Mit einem Fokus auf lokale Wertschöpfung, mehr Nachhaltigkeit und Menschenrechte hätte man ein Alleinstellungsmerkmal, argumentiert Viktoria Reisch von Germanwatch, einer NGO, die sich in Berlin für Nachhaltigkeit, Klimaschutz und globale Gerechtigkeit einsetzt. „Jetzt geht es darum, diesen Ansatz mit der europäischen Rohstoffstrategie zu verknüpfen“, sagt sie.

Bei Letzterem wurden jedoch bislang kaum Fortschritte erzielt. Zwar hat die Europäische Kommission gerade ihren Critical Raw Materials Act (CRMA) vorgelegt, mit dem sie den Lieferengpässen der Industrie entgegenwirken und auf die amerikanische Offensive reagieren will. Das Papier bietet jedoch kaum konkrete Maßnahmen. Feste Quoten für das Recycling von Rohstoffen oder die Gewinnung von Metallen aus heimischen Böden sind darin nicht enthalten. Es gibt auch keinen Zeitplan. „Viele hatten sich deutlich mehr erhofft“, sagt ein deutscher Regierungsbeamter.

Am Rande der Essener Innenstadt, im Gebäude Q6 der Thyssenkrupp-Zentrale, formuliert Martin Stillger eine Antwort, die viele seiner Kunden vielleicht überhaupt nicht hören möchten. Stillger leitet ein schier endloses Rohstoffimperium bei Thyssenkrupp Materials Services. Wenn die Industrie der Junkie und China das Drogenkartell ist, dann ist Stillger der Dealer. Der Mann hat so ziemlich alles zu bieten, was die Schöpfung hergibt. Stahl, Edelstahl, Aluminium. Aber auch Gase und Seltene Erden, genau die kritischen Rohstoffe, die Europa so dringend braucht. Weltweit kaufen eine Viertelmillion Kunden jedes Jahr Waren im Wert von 16 Milliarden Euro bei Stillger.

Natürlich sei China für viele Produkte ein wichtiger Lieferant, sagt Stillger. Manchmal ist es das Einzige. Dennoch gibt es Alternativen, und die Pandemie mit all ihren Verwerfungen hat ihre Entwicklung sogar beschleunigt. Das Problem: Heimische Metalle, Erze und Vorprodukte sind zwar sauberer und sicherer, aber auch deutlich teurer.

15 Jahre lang lenkte Stillger die Geschicke eines mittelständischen Maschinenbauunternehmens, das einst in China Pionierarbeit leistete. Mit anderen Worten: Er kennt den Feind – so könnte man es zumindest ausdrücken. Stillger sieht die Notwendigkeit einer grundlegenden Veränderung – in den Köpfen der Führungskräfte. Ein großes Managementversagen der heimischen Industrie ortete die Exekutive: Gerade die Menschen, die in der Rohstofffrage jetzt am lautesten um Hilfe von der Politik rufen, seien oft dieselben, die „die Entscheidung schon immer auf der Grundlage dieser Entscheidung getroffen haben“. "Allein aus Kostengründen" in der Vergangenheit. Seit Jahrzehnten werden Käufer „geschult und dazu angeregt, den niedrigsten Preis auszuhandeln“, sagt er. Alle dachten: Es herrschen Frieden und Freiheit. Also kauften sie in China, sagt er. „Jetzt merken sie, dass wir in einer Sackgasse stecken und es keinen Weg mehr gibt, umzukehren.“

Martin Stillger, CEO of Thyssenkrupp Materials Services

Er argumentiert, dass Führungskräfte benötigt werden, „die den Zyklen der Rohstoffindustrie standhalten können“ und außerhalb Chinas einkaufen, selbst wenn „der Preisunterschied größer wird“. Regierungen, sagt Stillger, sollten nur dort eingreifen und helfen, wo Unternehmen ehrliche Anstrengungen unternehmen, um unabhängiger zu werden. Sonst würde alles beim Alten bleiben. Die Parallelen zur Gas- und Ölversorgungskrise nach der russischen Invasion in der Ukraine und zu den Maßnahmen, die unternommen wurden, um die Abhängigkeit von Moskau zu verringern, sind offensichtlich. Es ist ein Prinzip, das Stillger „Lernen durch Schmerz“ nennt.

In der baden-württembergischen Kleinstadt Zimmern ob Rottweil weiß man, wie sich eine solche Lernkurve anfühlt. Der Unternehmer Wolfgang Schmutz hatte schon früh eine wachsende Nachfrage vorhergesehen und ging 2018 ein Joint Venture mit dem staatlichen bolivianischen Lithiumunternehmen YLB ein, um Zehntausende Tonnen Lithiumsole aus dem berühmten Salzsee Uyuni zu gewinnen. Schmutz wollte damit die heimische Autoindustrie beliefern. Schon damals reiste Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zur Vertragsunterzeichnung für das Projekt namens ACISA.

Aber von da an ging es bergab. Im Herbst 2019 stellte der bolivianische Präsident Evo Morales das ACISA-Programm ein, woraufhin Schmutz eines Morgens im Radio davon erfuhr. Die Bolivianer hatten ihn nicht einmal informiert. Die Bundesregierung und die baden-württembergische Landesregierung in Stuttgart waren ebenso überrascht wie Schmutz und konnten letztlich keine Lösung finden. „Es hätte nicht sein sollen“, sagt er mürrisch. Mittlerweile hat Schmutz seinen Schwerpunkt wieder auf den Maschinen- und Anlagenbau verlagert.

Das Wirtschaftsministerium in Berlin sagt, das Unternehmen habe sich auf die falschen Partner eingelassen. Es scheint aber auch klar, dass die Südamerikaner mit einem multinationalen Konzern wie Mercedes-Benz oder Siemens mit ziemlicher Sicherheit anders umgegangen wären.

Das Projekt wurde inzwischen an eine andere Partei übergeben. Im Januar erhielt ein ausländisches Konsortium unter Führung der CATL-Gruppe den Zuschlag von der bolivianischen Regierung. Der Schatz im Uyuni-Salzsee wird nun noch jahrzehntelang ausgebeutet – von einem chinesischen Staatsunternehmen.

Der Artikel, den Sie gerade lesen, erschien ursprünglich auf Deutsch in der SPIEGEL-Ausgabe 22/2023 (27.05.2023). China – Dominanz überall USA – China die Stirn bieten Was kommt als nächstes?
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